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Die Geschichte des Volksgerichtshofes

"Recht ist, was dem Volke nützt!"(?)

Der Name Freisler – Betrachtungen zum Volksgerichtshof

Von Rocco Räbiger

"Der Verlauf des Strafverfahrens gegen van der Lubbe u(nd) Gen(ossen) hat bewiesen, daß das ordentliche Verfahren vor dem Reichsgericht für die Aburteilung derartiger Schwerverbrechen nicht geeignet ist, die eine rasche und abschreckend wirkende Sühne verlangen. (…) Um in etwaigen künftigen Fällen den gleichen Fehler zu vermeiden, erscheint es mir dringend erforderlich, daß zur Aburteilung von derartigen Schwerverbrechen, für die nach den geltenden Vorschriften das Reichsgericht zuständig ist, ein Sondergericht eingesetzt wird. Dieses Sondergericht müßte durch Hinzuziehung von Vertretern der NSDAP und der SA die unbedingte Gewähr für ein schnelles und den Interessen des Staates Rechnung tragendes Verfahren und Urteil bieten. (…)"
Aus einem Schreiben des Reichsinnenministers an den Reichsjustizminister vom 18. Januar 1934 (aus: Dokumente zur deutschen Geschichte 1933–1935).

Das nationalsozialistische Führungslager war nach dem Reichstagsbrandurteil des Reichsgerichtes vom 23. Dezember 1933 außer sich. In Politik und Staatsführung verbreitete sich die Auffassung, daß ein solches Urteil, mit der entsprechenden juristischen Gründlichkeit zustande gekommen, dem deutschen Volke und darüber hinaus in keinster Weise als abschreckendes Zeichen in der Verfahrensweise mit den von der nationalsozialistischen Propaganda als sogenannte "Volksschädlinge" bezeichneten Regimekritiker dienlich sei. Der NS-Staat benötigte ein Rechtsprechungsorgan, das nur noch der Staatsgrundlage gemäße Urteile fällen würde.

Im Laufe der Zeit ebnete die Justiz einem solchen Vorhaben entscheidend den Weg mittels erster gesetzgeberischer Maßnahmen. Vor allem Hitler, Göring und Frick unterstützten energisch die Vorbereitungen zur Schaffung einer hochrangigen politischen Sondergerichtsbarkeit. Eine eigentliche Grundlage für eine gesonderte Rechtsprechung konnte jedoch erst durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934 geschaffen werden: Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Reichsgerichts in Landes- und Hochverratssachen übernimmt fortan der Volksgerichtshof (VGH).

Der 14. Juli 1934 besiegelte die erste Stufe der Evolution des für Sonderfälle ermächtigten Sonderrechtsprechungsorgan des NS-Staates; der VGH begann, erstmalig juristisch zu wirken. Mit dem Gesetz über den Volksgerichtshof und über die 25. Änderung des Besoldungsgesetzes vom 18. April 1936 begann für den VGH die Ära als ordentliches Gericht in der damaligen juristischen Landschaft. Einen Instanzenweg sahen die nationalsozialistischen "Schöpfer" jedoch für das in Berlin beheimatete Gericht nicht vor.

Sitzung des Volksgerichtshofes

Eröffnung des Volksgerichtshofes am 1. Juli 1934 im Gebäude des preußischen Landtages zu Berlin

In den Anfangsjahren des VGH führten die Senatspräsidenten Rehn und Bruner die Geschäfte. Am 1. Mai 1936 übernahm Thierack das Amt des Volksgerichtshofpräsidenten. Thierack, der seit 1933 als Sächsischer Justizminister und anschließend als stellvertretender Präsident des Reichsgerichtes tätig war, war maßgeblich an der Ausgestaltung der Justiz als Terrorinstrument im NS-Staat beteiligt. Im August 1942 trat Freisler an die Stelle von Thierack, der zum Reichsjustizminister berufen wurde. Freisler, einer der fanatischsten Nationalsozialisten, verpaßte dem Volksgerichtshof den Ruf eines Terrorgerichts und entwickelte sich zum furchtbarsten Blutrichter des nationalsozialistischen Rechtssystems. Nach dem Tode Freislers im Februar 1945 folgte der frühere Generalstaatsanwalt Haffner als letzter Präsident des Volksgerichtshofes.

Die Präsenz des Volksgerichtshofes ist in den Jahren von 1934 bis 1945 unterschiedlich zu bewerten. In der Vorkriegszeit fungierte er als Machtsicherungsgericht, in der Hauptphase des II. Weltkrieges als Annexionssicherungsgericht und in der Zeit des nahenden Kriegsendes als Heimatfrontsicherungsgericht. Es kann also durchaus behauptet werden, daß der Volksgerichtshof flexibel auf die einsetzenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen reagierte.

Seine sachliche Zuständigkeit wurde ständig erweitert. Dominant sind vor allem Verurteilungen wegen Wehrkraftzersetzung, der Beteiligung am Widerstand (u. a. auch die des 20. Juli 1944 und der Weißen Rose), Spionage (nachrichtendienstliche Betätigung) oder Unterlassung der Anzeige von Hoch- und Landesverratsvorhaben. Die Angeklagten, Angehörige von 30 Nationen, und späteren Verurteilten waren vor den Richtern der sechs Senate des VGH so gut wie rechtlos oder moralisch entmannt. Sie gerieten in eine von den Nationalsozialisten eingesetzte und gesteuerte juristische Mühle.

Die Richter am VGH, in der Regel willige Werkzeuge, setzten sich aus Berufs- und ehrenamtlichen Richtern zusammen. Jene Laienrichter, auch als "Volksrichter" propagandistisch bezeichnet, sollten die volksgebundene Rechtsfindung symbolisieren. Zwischen den Berufsrichtern und den sogenannten "Volksrichtern", die aus der Wehrmacht, der Polizei, der NSDAP oder anderer NS-Organe abgestellt wurden, bestand ein relativ unausgewogenes Verhältnis zugunsten Letztgenannter. Sämtliche Richter am VGH bestimmte Hitler persönlich. Es waren die dem Staat und dessen krimineller Ideologie am engsten Verbundenen.

Eine volksgebundene "Rechtsfindung" setzte eine volkstümliche Sprache voraus. Genau dieser einfachen und verständlichen Wortwahl bemächtigten sich die VGH-Richter: Das Verständnis als Waffe zur gezielten Abschreckung (!). "Das Urteil muß dem Volksgenossen mit normaler gesunder Urteilskraft überzeugend eingehen. (…) Der Ort für juristische Doktorarbeiten ist der Volksgerichtshof nicht." (Zitat Roland Freisler im August 1942). Die Rechtsprechung am VGH verschärfte sich bis zum Untergang des Nationalsozialismus ständig. Freisler selbst erniedrigte die Angeklagten in primitivster Weise und ließ beispielsweise die Prozesse gegen die angeklagten Teilnehmer des Widerstandes vom 20. Juli 1944 filmen, was schon in der damaligen Zeit von verschiedenen Juristen entschieden kritisiert wurde.

Die Bilanz der Rechtsprechung ist erschreckend. In ca. 7.000 Verfahren wurden rund 18.000 Menschen verurteilt, regelrecht abgeurteilt, davon etwa 5.000 zum Tode. Dennoch müssen auch die etwa 1.000 Freigesprochenen erwähnt werden. Die Urteile des VGH blieben über Jahre hinweg im Nachkriegsdeutschland unangetastet. Jedoch am 25. Januar 1985 wurde den Entscheidungen des VGH durch den Bundestag jegliche Rechtswirkung abgesprochen. Der VGH wurde als Terrorinstrument zur Durchsetzung der NS-Willkürherrschaft deklariert – was er ja eigentlich von Anfang an war, denn von einem Gericht im rechtsstaatlichen Sinn ist der Volksgerichtshof weit entfernt gewesen.

Literaturhinweise:

  • Günter Wieland: "Das war der Volksgerichtshof", 1. Auflage, Berlin 1989
  • Klaus Marxen: "Das Volk und sein Gerichtshof", Frankfurt/Main 1994
  • Gustav Radbruch: "Des Reichsjustizministeriums Ruhm und Ende (Zum Nürnberger Juristen-Prozeß)", Süddeutsche Juristen-Zeitung 1948, 57



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